Nach dem jüngsten Klimagipfel stellt sich einmal mehr die Frage: Ist unser Planet noch zu retten? Und wenn ja, wie? Um diese Fragen geht es in der neuen Serie «Planetary Health» des «Impact»-Webmagazins der ZHAW. Die ZHAW-Forschenden Gisela und Tilo Hühn erklären in den ersten Folgen, wie wir mit Essen die Welt retten können. Schonkost kredenzen sie nicht. Vielmehr tischen sie offen auf, woran unser Ernährungssystem krankt und welche negativen Einflüsse es auf die Umwelt hat. Garantierte Rezepte zur Genesung gibt es hier keine, sondern Wissenshappen sowie Gehirnfutter zum Weiterdenken und Weiterdiskutieren. Denn: «Die Schlacht zur Rettung des Planeten wird auf dem Teller gewonnen.» Bis zum wohlverdienten Dessert ist es noch weit.
Der Weg in die Krise ist vorgezeichnet: Die Zahl der Menschen auf diesem Planeten wächst und mit ihnen der Verbrauch der Ressourcen. Der Weltüberlastungstag rückt immer näher zum Jahresanfang hin und der Kipppunkt beim Weltklima droht mit Wahrscheinlichkeit bereits Mitte des Jahrzehnts.
Verzicht allein reicht nicht
Vor allem unser heutiges Ernährungssystem hat sehr negative Einflüsse auf unsere Umwelt. Selbst wenn wir ab sofort bescheidener würden: Mit Verzicht allein könnten wir die Abwärtsspirale nicht stoppen. Wir müssen schon anpacken und den Planeten aktiv reparieren mit einem neuartigen System, das den gegenwärtigen Agro-Food-Systemen aus ihrem Dilemma hilft.
Das grosse Dilemma
Dieses Dilemma liegt ganz wesentlich in der sequenziellen und linearen Wertschöpfungskette, angefangen bei der Herstellung von Saatgut, Düngemitteln oder Pflanzenschutz über die Landwirtschaft, die Lebensmittelverarbeitung und den Transport bis hin zum Handel und zur Gastronomie. Jedes Glied dieser Kette ist spezialisiert auf seinen ganz eigenen Bereich und schaut kaum über den Tellerrand hinaus. Und wenn, dann höchstens bis zu den direkt angrenzenden Gliedern. Deshalb versucht auch jeder Bereich das Optimum für sich herauszuholen, ungeachtet der Schäden, die dadurch angerichtet werden könnten.
Entwertet
Kommt hinzu, dass die Nahrungsmittelketten seit Jahren auf Effizienz und niedrige Kosten getrimmt wurden. Die Folge ist einerseits die Konzentration auf mächtige Player. Und zum anderen führte dies zu einem mörderischen bis selbstmörderischen Preis- und Kostendruck. Ressourcen, Lebensmittel, Arbeitskraft und Umwelt wurden entwertet. Die westliche Welt orientierte sich beim Wert der Nahrungsmittel vor allem am Preisschild. Dabei galt: je billiger, umso besser.
Standardisierung für den Mainstream
Das Know-how über das Wirtschaften im Einklang mit der Natur verschwand und wurde durch Standardisierung und intensivere Ressourcennutzung ersetzt. Dies hatte zum einen negative Folgen für die Umwelt, etwa durch den zunehmenden Foodwaste oder ausgelaugte Ackerböden. Es hat aber auch Folgen für den Geschmack: Hunderte von Joghurtsorten stehen in den Kühlregalen, die doch alle ähnlich schmecken, um dem Mainstream zu gefallen.
Immer grössere und buntere Verpackungen
Die Konsumentinnen und Konsumenten erfuhren wenig von diesen Entwicklungen und dem Dilemma bei den Agro-Food-Systemen. Im Gegenteil: Da Manpower und finanzielle Ressourcen weg von der Produktion hin zur Vermarktung verschoben wurden, wuchs die Asymmetrie hinsichtlich der Informationen stark. Mit immer grösseren Anstrengungen im Marketing wurde eine Welt der grenzenlosen Vielfalt gezeichnet. Verpackungen wurden immer grösser und bunter, verbunden mit negativem Impact in den Ökobilanzen.
Bewusstsein im Wandel
Erfreulicherweise zeichnet sich allmählich ein Umdenken ab, nicht zuletzt dank der modernen Medien. Bei den Konsumentinnen und Konsumenten wächst die Erkenntnis – was sie dadurch kundig macht –, dass ihre Kaufentscheidung sehr bedeutend für den Verlust von Biodiversität und Klimawandel ist. Sie erkennen, dass durch die Abkehr von einer Landwirtschaft, die um die Wichtigkeit der Selbsterhaltung weiss und entsprechend handelt, eine Todesspirale in Gang gesetzt wurde. Themen wie Gesundheit, Nachhaltigkeit, Klimaveränderung, Tierwohl, Verfügbarkeit und regenerative Landwirtschaft rücken stärker ins Blickfeld und bewirken Bewusstseins- und Verhaltensänderungen.
Alle tragen Verantwortung
Es wird deutlich, dass es eines grundlegenden Prozessmusterwechsels bedarf: Aus den Wertschöpfungsketten müssen Wertschöpfungsnetzwerke werden. Dabei würden auch die Konsumentinnen über Kundinnen zu Prosumentinnen – eine Mischung aus Produzierenden und Konsumierenden –, und auch diese würden eingebunden. Sind alle mit allen im Netz verbunden, übernehmen viele Verantwortung. Niemand kann sich davonstehlen und die Schuld für Umweltschäden auf andere abwälzen, schon gar nicht auf die grosse anonyme Allgemeinheit. Dann wäre der Weg frei in Richtung Netzwerk für eine neue, verantwortungsvolle, regenerative Ökonomie, die so dringend notwendig ist gegen die Krise und die Kipppunkte.
Zu den Schreibenden
Das Unerwartete denken und schreiben ist das Motto von Gisela und Tilo Hühn. Gemeinsam verantwortungsvoll handeln, reflektieren und etwas bewirken sind die Eckpfeiler ihres Lebenskonzepts. Die beiden arbeiten als Forschende und Dozierende an der ZHAW: Gisela Hühn in der Forschungsgruppe für Lebensmittel-Prozessentwicklung, Tilo Hühn als Leiter des Zentrums für Lebensmittelkomposition und -prozessdesign. Ob an der Hochschule oder am Küchentisch: Beide diskutieren und arbeiten gerne – zu zweit oder mit anderen – zu zukünftigen Ernährungssystemen sowie zu der Frage, wie man bei der Verarbeitung mehr vom Guten aus Agrarprodukten erhält.