Tilo Hühn ist Geisenheimer-Oenologe (531Riesling.de), FoodArchitect, Erfinder, Entwickler und Umsetzer regenerativer technologischer Prozesse in Unternehmen. Mit seinem Team an der ZHAW in Wädenswil und in Kooperation mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft schaffen, verändern, erweitern und reproduzieren sie Informationswege, um funktionelle Lösungen für die Lebensmittelwelt zu erforschen und die gemeinsam gewonnenen Ergebnisse umzusetzen.
Dabei sind sie auf dem Weg, die Basis für die Entwicklung von transformativen und regenerativen Nahrungsmittelprozessen zu schaffen. Von seinen Freunden wird er als «freies Radikal» bezeichnet. Er nimmt teil, reagiert, lädt sich auf und verschwindet wieder, um sich woanders einzumischen. Gemeinsam verantwortungsvoll handeln, reflektieren und etwas bewirken, sind Eckpfeiler im Periodensystem des Professors.
Seine Aktivierungsenergie zieht er aus dem Diskurs mit den Studierenden. Zurzeit ist er Leiter des Zentrums für Lebensmittelkomposition und -prozessdesign an der ZHAW und an einer radikalen Ecosysteminnovation beteiligt, dem Food Campus Berlin.
"Ich versuche Unbekanntes zu kultivieren und liebe es, mit anderen Menschen ins Chaos zu tauchen, um neue Kompositionen für Produkte und Möglichkeiten der Transformation in Form von regenerativen Prozessen zu finden. Es geht nicht darum innovativ zu sein oder nicht - es geht um das Wie und die Wirkung."
Mit welcher Art von Fermentation beschäftigst du dich?
Biotransformationen üben eine unbeschreibliche Anziehung auf mich aus. Alles hat bei mir mit der Metamorphose vom Most zum Wein angefangen. Wir nennen den Prozess alkoholische Gärung. Seitdem lässt mich das Thema nicht mehr los. Die Interaktion von Mikroorganismen, Zellen oder Organismen mit einem Substrat und der Umwelt, der Stoffwechsel, die Homöodynamik, das Biome, die Signalübertragung – faszinierend.
Was sind deine bzw. die deines Unternehmens/Projekts nächsten Meilensteine im Kontext Fermentation?
Die Barriere der definierten Kulturmedien zu überwinden. Wir arbeiten an komplexen Kulturmedien aus möglichst kostengünstigen Agrarprodukten für den Einsatz bei Zellkulturen und Präzisionsfermentationen, bei denen keine anderweitigen Signalsubstanzen mehr zugesetzt werden müssen. Clean Label Hormone inbegriffen, sozusagen ohne Gentechnologie oder technische Synthese.
Welche Rolle spielt Fermentation bei der Schaffung einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Ernährung?
Abfall ist eine Erfindung des Industriezeitalters. In der Natur werden Stoffwechselprodukte von einem Organismus oft direkt von anderen Organismen genutzt, wobei der "Rest" des einen zum "Substrat" des anderen wird. Dies verdeutlicht das fundamentale Prinzip der Effizienz und des Gleichgewichts in ökologischen Systemen, in denen Abfallprodukte als wertvolle Bestandteile im Kreislauf des Lebens verwendet werden.
Durch den gezielten Einsatz von Fermentationsprozessen (Ferment verweist auf in Zyme, in Hefe und auf den Begriff Enzyme, dementsprechend heute nicht mehr ausschliesslich nur Hefe, Yeast) kann molekulares Upcycling betrieben werden, was zu einer regenerativen Produktion und regenerativen Ernährung wesentlich beitragen kann.
Unser Gründer der Forschungsanstalt Wädenswil Prof. Dr. Dr. (hc) Hermann Müller aus dem Kanton Thurgau, hat durch den Aufschluss von Hefen vor über 100 Jahren nachgewiesen, dass Enzyme auch noch eine Zeit ausserhalb eines Mikroorganismus nach Zerstörung der Zellmembran funktionieren – das war bahnbrechend wie die Beobachtung von Prof. Dr. Lui Pasteur auf dem Gebiet der Mikrobiologie.
Wie können Unternehmen von der Integration fermentierter Lebensmittel in ihr Produktportfolio profitieren?
Fermentiert wird seitdem es Leben auf dem Planeten gibt. Die Menschen haben diese Prozesse früh genutzt, um Lebensmittel herzustellen, nutritiv, haltbar und genussfähig, teilweise berauschend zu machen. Mit dem Einsatz dieser Praktiken sind teilweise Risiken verbunden, die heute gut kontrolliert werden können. Insbesondere durch die Vermeidung von Lebensmittelabfällen in Form der Aufwertung von Seitenströmen für die menschliche Ernährung, tragen Fermentationsprozesse zur Wertschöpfung von Unternehmen bei.