Food Campus: Wie sieht die Ernährung der Zukunft aus?
Dr. Katharina Reuter: Weniger tierisch. Bio als Standard. Mit krass reduziertem Food Waste. In fairen Lieferketten. „Essen und Trinken ist politisch“ – so titelte eine Jahrestagung von uns. Denn kaum ein Bereich hat so einen hohen Impact wie unsere Ernährung und die Art und Weise, wie wir unsere Lebensmittel erzeugen – und wäre gleichzeitig so einfach zu adressieren. Nämlich mindestens 3 x täglich!
In bisherigen Ernährungsempfehlungen ging es vor allem darum, die individuelle Gesundheit zu verbessern, zukünftig müssen ökologische und soziale Faktoren eine viel größere Rolle spielen. Denn die Agrarindustrie trägt in Deutschland nicht nur maßgeblich zur Emission von Treibhausgasen bei, sondern auch zum Verlust der Artenvielfalt, zur Belastung von Grund- und Oberflächenwasser, zur Schädigung von Böden und zur Reduktion der Luftqualität durch Ammoniak-Emissionen. Gleichzeitig verfügt eine ökologisch nachhaltige Landwirtschaft aber über großes Potenzial zum Schutz von Klima, Biodiversität und Umwelt.
Um dieses Potenzial zu heben, benötigen wir eine Transformation der Landwirtschaft und eine Ernährungswende. Hier setzt die „Planetary Health Diet“ an, die 2019 von Wissenschaftlern u. a. aus den Bereichen Gesundheit, Landwirtschaft, Ernährungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit (EAT-Lancet-Kommission) entwickelt wurde. Eine Ernährungsumstellung nach diesem Vorbild würde bedeuten, v. a. den Verzehr tierischer Produkte zu reduzieren und gleichzeitig die Menge an Obst, Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchten zu verdoppeln.
Food Campus: Was sind die größten Herausforderungen für die nachhaltige Transformation der Ernährungsindustrie?
Dr. Katharina Reuter: Für die klassische Ernährungsindustrie von heute ist es doch ok, billig zu produzieren – auch wenn das auf Kosten der Menschen in den Produktionsländern geht, auf Kosten der Qualität der Rohstoffe, auf Kosten von gesunden Rezepturen – und auf Kosten der Umwelt.
Die nachhaltigen Unternehmen von heute müssen leider auf einem unfairen Markt agieren – das ist die größte Herausforderung. Wir haben keine wahren Preise, was dazu führt, dass ein Produkt, das Mensch und Umwelt eigentlich viel mehr kostet (z. B. die Pestizid-Banane) im Laden billiger zu haben ist als das ökologisch und sozial vorteilhaftere Produkte (z. B. die Bio-Banane). Das macht es für die nachhaltigen Unternehmen so schwer. Hier kämpfen wir dafür, die Vorzeichen umzudrehen.
Auch die Wirtschaft insgesamt wünscht sich inzwischen Rahmenbedingungen von der Politik, nach denen sie ihre Unternehmensstrategien ausrichten kann. Dazu gehören heute verlässliche Signale in Richtung steigende CO2-Preise, stärkere Integration von Umwelt- und Sozialleistungen in die Produktion und höhere Ansprüche an Nachhaltigkeitsnachweise.
Food Campus: Wie schafft ihr einen positiven Planetary Health Impact?
Dr. Katharina Reuter: Im BNW sind ja viele nachhaltige Pionierunternehmen Mitglied, auch viele Food-Start-ups – und so macht der Agrar- und Ernährungssektor einen deutlichen Anteil unserer Mitglieder aus. Diesen Unternehmen bieten wir ein starkes Netzwerk und die Plattform, um Know-how zu teilen, Ideen auszutauschen und gemeinsam Projekte zu entwickeln. Immer wieder kommt es zu tollen Kooperationen zwischen etablierten Unternehmen und Food-Start-ups. Und wir setzen uns natürlich gegenüber politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern dafür ein, dass die Rahmenbedingungen für eine nachhaltigere Agrar- und Ernährungswirtschaft geschaffen werden. Hier liegt ein Riesenhebel!
Auch unser eigenes Handeln bei der Beschaffung und der Veranstaltungsorganisation ist nachhaltig: Wir kaufen fast ausschließlich Bio-Lebensmittel ein, die Verpflegung bei unseren Events ist vegan-vegetarisch-bio – und natürlich haben wir Mehrweglösungen für die Mittagspause parat.
Food Campus: Welche Statistik/Studie zitierst du gerne und am häufigsten?
Dr. Katharina Reuter: Meine aktuellen Lieblingszahlen: 1 EUR in Klimaschutz spart 15 EUR Klimaschäden.
Und bei Studien sind es eigentlich zwei 😊
- Gesundes Essen fürs Klima. Auswirkungen der Planetary Health Diet auf den Landwirtschaftssektor: Produktion, Klimaschutz, Agrarflächen (Eine Studie des Öko-Instituts im Auftrag von Greenpeace)
- NABU-Statement: Es geht: Wie wir unsere Ernährung sichern und gleichzeitig die Natur und das Klima schützen können
Food Campus: Welche sind für dich aktuell die spannendsten Innovationen/Unternehmen/Start-ups /Trends im Bereich Food und warum?
- Was kommt nach dem Teller & der Verdauung? Zirkuläre Nutzung von Phosphor (Goldeimer)
- Insekten als Lebensmittel (EntoSus)
- Bio-regenerative Landwirtschaft (follwofood)
- Der erste True-Price-Kaffee in Deutschland (Truesday Coffee)
- … und natürlich beim Thema Finanzierungsmodelle für nachhaltige Landwirtschaft die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg, die ich mitgegründet habe
Food Campus: Deine Vision für die Food-Branche in einem Satz:
Dr. Katharina Reuter: Eine Agrar- und Ernährungswirtschaft zu schaffen, die innerhalb der planetaren Grenzen funktioniert – und alle Menschen satt macht.
Die schnellen 7 an Dr. Katharina Reuter (CEO BNW e.V. | Stimme der nachhaltigen Wirtschaft)
Wieso gerade Food?
Weil es die Grundlage von allem ist. Ich wollte Bäuerin werden, habe Agrarwissenschaften studiert, zur Vermarktung von Bio-Produkten promoviert. Die Agrar- und Ernährungswende ist bis heute mein Herzensthema.
Umdenken, was bedeutet das für dich?
Nachhaltigkeit ist kein nice-to-have mehr, sondern Hygienefaktor für die Unternehmen. Hier muss die Wirtschaft gewaltig umdenken.
Was macht deinen Tag perfekt?
Ein Frühstück in der Sonne mit meinen Männern.
Dein größter Erfolg bisher?
Natürlich freue ich mich über die aktuelle Auszeichnung (Top 100 Women in Social Enterprise 2023), aber beruflich ist mein größter Erfolg, dass es mir gelungen ist, aus einem Nischenverein einen politisch wahrgenommenen Unternehmensverband zu machen.
Nenne uns ganz spontan:
3 Hashtags #essenistpolitisch #WERTschaften #greengang
3 Marken Heyho Handmade Granola, Original Beans, Delinat
3 Learnings Einfach machen! // Food-Wissen kommt in der Bildung immer noch zu wenig vor // Bio muss auch schmecken